Der Roringstek vor Katina
Der Vorfall ereignete sich anlässlich des Schnuppertörns im Jahr 2001 mit der "The big one". Wir verließen damals unseren Liegeplatz in der Cuska Duboka Bucht (Im Süden der Insel Dugi Otok) und in der Telascica Bucht empfing uns eine leichte Brise.
Also Motor aus und alle Mann an die Leinen,
um Segel zu setzen. Nach kurzer Zeit waren die Segel gesetzt und einigermaßen
getrimmt. Es lag Kurs Südost
an und wir glitten der Insel Katina entgegen. Einzig der Trimm unseres Großsegels gefiel
unserem Skipper Wolfi gar nicht.
Das Vorliek war
nicht ordentlich durchgesetzt, so dass sich einige Falten im schneeweißen,
durchgelatteten Großsegel zeigten. Sofort erhielt einer unserer „Kraftwinscher” den
Auftrag, das Großfall stärker
durchzusetzen. Ein paar Kurbelumdrehungen gingen noch, dann fing das Fall auf
der Winschtrommel
zu knarzen an und bewegte sich schließlich um keinen Zentimeter mehr.
Der Wolfi ging vor zum Mast und blickte nach oben. Zusätzlich zu den
noch immer im Vorliek vorhandenen Falten kräuselten sich jetzt auch
Falten auf Wolfi‘s Stirne. Er hatte den Grund des Übels im Masttop oben
entdeckt: Das Großfall war am Kopf des
Großsegels mit einem Knoten angeschlagen der seiner Meinung nicht
ganz praxisgerecht war. Dieser Knoten „baute” zu lang und blockierte
so das Fall, welches nicht mehr zur Gänze in den Mast laufen konnte.
Das waren verschenkte Zentimeter die wir brauchten, um das Vorliek zu spannen.
"Runter mit dem Groß, Ladies!" "Jetzt zeige ich euch,
wie man das professionell löst," tönte unser Skipper. Damals
hatte der Wolfi noch einen etwas eigenwilligen Kommandoton drauf, von dem
ich bis heute noch nicht weiß,
aus welchem Piratenfilm der wohl stammte.
Also wieder runter mit dem Großsegel und der Wolfi machte sich sofort
an die Arbeit. "Schaut's her Ladies, der Knoten der taugt nix!" "Der
baut viel zu hoch! Der steht dann bei der Umlenkrolle im Masttop an und blockiert
das Fall, bevor das Segel anständig durchgesetzt ist! Also brauchen
wir da einen Knoten der weniger hoch baut und Fachfrauen wie wir verwenden
dafür
den Roringstek!"
Gesagt, getan. Fasziniert betrachtete die Crew das Resultat. Sah prima aus, der Roringstek und er war wirklich Platz sparender! Ist schon was wert, wenn man so einen Profiskipper an Bord hat. Bald konnten wir das Groß wieder setzen und es stand wirklich besser. Aber Perfektionist, wie der Wolfi halt ist, packte er die Winschkurbel und holte das Fall noch um einen Tick dichter.
Plötzlich
machte es einen Schnalzer, das Rigg brummte
wie die Saite einer riesigen Bassgitarre und das Großsegel rutschte
langsam und schlaff im Wind flatternd zurück nach unten auf den Baum.
Der Roringstek war aufgegangen und das Fall war in 20 Meter Höhe im
Masttop verschwunden und im Mastinneren nach unten gerutscht.
Nachdem er
einige Minuten wild vor sich hin fluchend zur Mastspitze emporgeschaut
hatte, ließ er
die Maschine starten, das Vorsegel bergen und wir suchten uns eine vor Schwell geschützte
Bucht. Die fanden wir bald am südlichen Ende von Katina.
Eine Mole und
ein kleines Restaurant war alles, was die ansonsten kahle Insel in diesem Bereich
zu bieten hatte. Aber nach Essen war uns damals überhaupt
nicht zumute. Der Anker fiel, und bald verstummte auch die Maschine. Unser
Skipper hatte inzwischen einen Bootsmannsstuhl klar
gemacht.
Jemand sollte sich da hineinsetzen und würde, durch eine zweite
Leine gesichert, an einem im Mast befindlichen Spinnakerfall
in den Masttop gewinscht werden. Die Zahl der Freiwilligen, welche vortraten,
war recht überschaubar, so dass es des Skippers vornehme Pflicht war,
diesen Part zu übernehmen. Er staffierte sich mit Werkzeug aus und mit
einer dünnen
Leine, an der wir das in den Mast gefallene Großfall wieder nach oben
aus dem Mast ziehen wollten.
Zusätzlich konnte er es sich jedoch nicht
verkneifen, sich auch seine Videokamera und die mit Diafilm geladene Spiegelreflexkamera
um den Hals zu hängen.
Das mit dem Winschen funktionierte ganz gut. Schwer war er ja nicht unser Skipper
und er half selber auch mit. Das untere Salingpaar
war bald erreicht und wir gönnten unserem Gipfelstürmer
eine kleine Verschnaufpause. Dann ging der Aufstieg weiter, vorbei am zweiten
Salingpaar in immer luftigere Höhen. Bald
hatten wir den Wolfi oben im Masttop.
War schon imposant die Höhe - selbst vom Deck aus betrachtet. Diejenigen von uns, die die Hände frei hatten, weil nicht mit der Sicherung unseres Klettermaxes betraut, nutzten die Gelegenheit für ein Erinnerungsfoto von unserem Skipper im Mast.
Die dünne Leine die er mithatte, wurde mit einer Zange beschwert und verschwand im Mast. Sie hatte bald die Position im Mastfuß erreicht, wo wir sie mit Hilfe eines aufgebogenen Kleiderbügels greifen und aus dem Mastauslass herausziehen konnten. Jetzt waren wir gefordert. Unser Skipper hing im Mast und wir hatten die Aufgabe, die dünne Leine mit dem starken Großfall so fest zu verbinden, dass wir das Fall wieder einfädeln konnten. Doch durfte die Verbindung auch nicht zu dick sein, so dass sie noch durch den schmalen Auslass oben am Mast passte.
Ein Schotstek passte da nicht durch und Nähzeug konnten wir auf die Schnelle auch keines finden. Mit Hilfe eines Stückchens
Draht klemmten wir die beiden Enden aneinander und versuchten ganz vorsichtig,
das Fall wieder hoch zu ziehen.
Zuerst riss uns die Verbindung ab, kurz bevor das Fall oben im Mast wieder
austrat. Dann haben wir die Verbindungsstelle in wilder Verzweiflung zusätzlich
großzügig
mit Isolierband umwickelt.
Und diese Verbindung hielt. Das Fall war wieder
eingefädelt,
Wolfi beschwerte das Ende und ließ es auf das Deck hinunter. Dann widmete
er sich der Fotografie und machte einige Aufnahmen aus ungewöhnlicher
Perspektive bevor wir ihn wieder langsam auf das Deck hinab ließen.
Mit einem ordentlichen Palstek hat er schließlich den Kopf des Großsegels wieder mit dem Fall verbunden und dieser Knoten hielt den Rest des Törns über klaglos.Das Missgeschick mit dem Roringstek hat seinem Ansehen als Skipper in meinen Augen nicht wirklich geschadet. Aber mir kommt vor, ein bisschen zuckt der Wolfi immer noch zusammen, wenn einer die alte Geschichte vom Roringstek vor Katina wieder aufwärmt…