Das geheimnisvolle Knistern

Unser Boot lag an jenem Abend sicher vertäut längsseits an einer Mole und schaukelte von Wind und Wellen bewegt, gleichmäßig vor sich hin. Die Crew hatte sich bereits zur Ruhe begeben und auch ich war gerade im Begriff, in meinen Schlafsack zu kriechen.

Kaum hatte ich das Licht gelöscht, mich ausgestreckt und versuchte, mich mit den schaukelnden Bewegungen meines Bettes anzufreunden, da vernahm ich ein Geräusch das mir fremd war: Ein Knacken, ein Knallen, als ob man die Luftbläschen in so einer Luftpolster-Verpackungsfolie zerdrückt. Nur es waren nicht einzelne Knaller, es hörte sich an, als ob da eine ganze Batterie von Kunststoffbläschen nacheinander zerdrückt würde. Das Geräusch ließ sich auch vergleichen mit heißem Fett, das in der Pfanne prasselt, wenn man Fischstäbchen brät.
Es prasselte also richtig bei uns an Bord aber man konnte den Ursprung des Geräusches nicht eindeutig orten. Ich hatte den Eindruck, es käme von der Bordwand, also von außen. Ob da Fische den Schiffsrumpf abweiden? So bewachsen sah dieser ja doch noch nicht aus. Ich konnte so nicht einschlafen, jedenfalls nicht bevor ich einen Blick nach draußen gemacht hatte. Also wieder Licht gemacht, die Taschenlampe gepackt und spärlich bekleidet hinauf ins Cockpit.
Auf der nackten Haut spürte ich den kühlen Wind, der das Boot an die Mole drückte und hörte nur das Klatschen und Rauschen der etwa kniehohen Wellen, die brechend am Kiesstrand neben der Mole ausliefen. Das besagte Geräusch war hier draußen nicht zu hören. Ich steckte den Kopf nochmals in den Niedergang hinunter. Hier hörte man das Prasseln sehr wohl noch. Also leuchtete ich mit der Taschenlampe am Rumpf des Bootes entlang, um zu sehen, welches Getier denn dieses Geräusch verursacht hatte. Im Lichtkegel der starken Lampe war aber nur bewegtes Wasser und der bleiche Schiffsrumpf zu sehen. Es ließ sich kein Verursacher ausmachen.
Mehr oder weniger beruhigt stieg ich wieder den Niedergang hinab schlüpfte in meine Koje und platzierte meine Taschenlampe griffbereit auf der Ablage neben der Matratze. Ich rollte mich wieder in meinen Schlafsack, löschte das Licht und ließ mich jetzt von dem Geräusch in den Schlaf knistern.

Am nächsten Morgen sprach ich mit den anderen Besatzungsmitgliedern. Alle hatten es gehört, aber keiner von ihnen hatte eine logische Erklärung für das Geräusch. Erst viel später wurde ich im Internet auf zwei Theorien aufmerksam, die versuchten, dieses unheimliche Prasseln und Knistern zu erklären.
Die eine Theorie besagt, dass dieses Geräusch von Kieselsteinen herrührt, die durch die Kraft der Wellen, wenn diese am Strand brechen, aneinandergeschleudert werden. Ich kannte dieses Geräusch auch schon vom Schnorcheln, aber dass ein so scharfes Knacken und Prasseln dabei erzeugt wird, das wollte ich nicht glauben.

Ein anderer Erklärungsversuch, der mir persönlich auch plausibler vorkommt, ist jener, der den so genannten Pistolenkrebs für diesen Lärm verantwortlich macht.

Alpheus heterochaelis

Die "Waffe" der etwa daumengroßen Pistolenkrebse ist eine kräftige Knallschere an einem ihrer Vorderbeine. Sie ist halb so lang wie das Tier, besitzt einen großen beweglichen Zahn und am gegenüberliegenden Scherenteil eine Grube. Zum "Schießen" spannt der Krebs den Mechanismus und lässt dann die Scherenhälften mit einer Irrsinnsgeschwindigkeit zuschnappen. Der dabei erzeugte Knall erreicht einen Lärmpegel von der Stärke eines startenden Düsenjets.
Aufnahmen mit einer Hochgeschwindigkeitskamera zeigten, dass aber nicht das Zuschnappen den Knall erzeugt. An der Scherenspitze entsteht vielmehr eine so genannte Kavitationsblase. Diese Luftblasen sind aus der Physik bekannt. Sie entstehen dort, wo Unterdruck herrscht. Während der Krebs nun die Schere zuschnappen lässt, wird in Verlängerung der Schere ein Wasserstrahl mit Hochgeschwindigkeit ausgestoßen. Gleichzeitig entsteht eine kleine Kavitationsblase und implodiert mit dem lauten Knall. Die Pistolenkrebse betäuben mit ihrem Schuss Beutetiere oder verteidigen sich gegen Feinde. Die Männchen fechten mit ihrer Waffe untereinander aus, wer der Stärkere ist.

Also wenn es beim nächsten Törn wieder mal an der Bordwand knistert, weiß ich, dass da draußen wieder eine wilde Schießerei im Gange ist und ich bleibe in Deckung!