Die Geschichte vom Selchroller

Anlässlich der Verproviantierung eines unserer Törns im Spätherbst hatte ich meinem Segellehrer und Skipper Wolfgang vorgeschlagen, einen Selchroller auf den Speiseplan zu setzen. Einerseits, weil von der Haltbarkeit unproblematisch und andererseits, weil er zusammen mit einer Portion Kartoffelpüree besonders an einem kühlen Tag an Bord Kraft und Wärme spendet. Die Crew war damals begeistert und Wolfi setzte den Selchroller von diesem Tag an sogar auf seine standardisierte Törn-Proviantliste!

Ja und weil der erste Törn mit Franz im April stattfand, also die zu erwartenden Temperaturen eine derartig deftige Mahlzeit rechtfertigen würden, stand er auch bei diesem Törn auf der Speisekarte, der Selchroller mit Kartoffelpüree.
Wir hatten eine ruhige Bucht gefunden. Der Anker fiel, wurde ordentlich eingefahren und der Diesel verstummte. Auch wenn es hier halbwegs windstill war in unserer Ankerbucht, ziemlich kühl war es noch immer. Wir hatten Zeit, also stieg ich hinab in die Pantry der "Old Sailor" um mich als Smutje zu betätigen und die Mannschaft mittags mit dem Selchroller beglücken.
Das Ding wog an die eineinhalb Kilo und wanderte gleich mal in einen großen Topf mit Wasser und etwas Salz. Der Gaskocher bullerte kräftig vor sich hin und der Selchroller schwamm gemütlich im sanft wallenden Wasser mit zwei Lorbeerblättern und einigen Wacholderbeeren um die Wette.

In der Zwischenzeit konnte ich mich um den Paprika-Tomatensalat mit Zwiebel und Knoblauch kümmern. Nachdem der Salat gemischt und abgeschmeckt war, fiel mein Blick auf den Gasherd: Die Flamme unter dem Topf mit dem Selchroller war erloschen und ich hatte es im Eifer des Gefechtes nicht bemerkt! Die Crew begann schon zu fragen, wann es denn soweit wäre. Also schnell meine Mitsegler mit einem Glas Wein vertröstet, die Gasflasche gewechselt, eine Reserveflasche war ja Bord, und weiter gekocht.
Eine gute Stunde war schon vergangen, in der der Selchroller sich ab und zu drehend, in seinem großen Topf gemütlich vor sich hin sott. Im Salon dampfte es mittlerweile recht ordentlich und von der Decke und den Wänden liefen überall kleine Rinnsale vom Kondenswasser. Man konnte schon fast von einer Tropfsteinhöhle sprechen. Ich machte mich an die Zubereitung des Kartoffelpürees. Dank der Vorarbeit der Firma Knorr war das Püree rasch fertig und wartete auf das Servieren. Nachdem die hungrige Mannschaft, die ich in den letzten 20 Minuten immer wieder um "fünf oder zehn Minuten" vertrösten musste, jetzt schon vehement ihre Mahlzeit forderte, fischte ich den Rollschinken um ihn aufzuschneiden: Was ich sah - ich konnte es nicht glauben!

Das Ding war, obwohl es jetzt mindestens siebzig Minuten vor sich hin geköchelt hatte, noch immer nicht ganz durch. Ich warf also die Scheiben nochmals ins heiße Wasser, gab Vollgas und versuchte nebenbei das Püree warm zu halten ohne dass es anbrannte. Gar nicht so einfach mit einem Gasherd und einem Topf mit dünnem Boden.
Die Mannschaft hatte sich inzwischen wieder an Deck begeben. Was sie gerade diskutierten – ich glaube, es war besser, dass ich das nicht so genau hörte! Nach weiteren zehn Minuten war es endlich soweit: Unter Aufbietung all meiner Fähigkeiten als Schiffkoch und nach Abfackeln von nahezu der Hälfte unserer Gasreserven konnte ich ihn servieren: Meinen Selchroller mit Kartoffelpüree.

Und geschmeckt hat er allen. Keiner ließ auch nur ein Stückchen davon über. Darum wundert es mich um so mehr, warum ich später, als es wieder mal um die Verproviantierung eines Törns ging, von einem Mitsegler mit folgender Aussage konfrontiert wurde: „Also wenn es diesmal wieder einen Selchroller mit Kartoffelpüree gibt, dann werde ich den persönlich über Bord gehen lassen“. „Das wird dann ein Freekick im besten Sinne des Wortes!”