Fit für den Neusiedler See

Ein Boot ist kein Lebewesen. Ein Segelboot besteht aus einem Haufen Holz, Metall oder GFK sowie einigen Quadratmetern Textilien. Wenn man diese Grundstoffe in geeigneter Form zusammenbringt, entsteht daraus eine Maschine zur Fortbewegung auf dem Wasser, die ungemein viel Spass bereiten kann. Aber eine Seele hat so ein Schiff doch keine – oder?

Wenn dem so wäre, würde meine Pegasus folgendes G‘schichterl über über sich und die Vorbereitungen für den Urlaub 2009 am Neusiedler See erzählen: „Gestatten Sie mir, dass ich mich vorstelle, mein Name ist Pegasus, Pegasus Zwei. Aber genannt werde ich einfach nur Pegasus. Ich bin 6,16 Meter lang und messe an der Hüfte gut 2,40 Meter. Mein Mast streckt sich bis in 9 Meter Höhe und auf die Waage bringe ich etwas mehr als eine Tonne.

Ganz schön schwer für ein kleines Segelboot werden Sie jetzt sagen: Ich halt’s da so wie Manfred, mein jetziger Eigner. Der ist nämlich auch etwas zu schwer und etwas zu breit für seine Länge! Nach einer Segelsaison auf dem Ammersee bei München landete ich in Salzburg bei Manfred auf dem Wallersee. Dieser See ist nicht sehr groß, aber er liegt recht idyllisch im Alpenvorland.

Ja und hier am Wallersee ziehen wir seit fünf Sommern unsere Runden, mein Eigner und ich. Mal fährt er alleine, mal mit seiner Frau Manuela und ab und zu sind auch noch Gäste mit von der Partie.

Ich sag’s ehrlich, irgendwie kommt mir vor, als hätte Manfred‘s Segelbegeisterung in den letzten Jahren etwas nachgelassen: Ganz am Anfang waren wir öfter und länger auf dem See unterwegs. Sicher das Wetter spielte oft eine Rolle: Wir hatten viele verregnete Wochenenden in der letzten Zeit.
Er ist auch nicht mehr so oft unter der Woche am See, mein Eigner. Früher gab’s da ja noch die Segelschule direkt neben dem Kapellerhafen. Hier lernte Manfred segeln und Wolfgang der Leiter der Segelschule sorgte dafür, dass er sich schließlich gänzlich mit dem Segel-Virus infizierte.

Der Steg der Segelschule war auch nach Ende der Ausbildung oftmals ein gerne besuchter Zwischenstopp um zu plaudern, auf der Terrasse einen Gespritzten zu trinken oder um technische Tipps direkt vom Chef einzuholen. Seit die Segelschule geschlossen wurde, hat mein Eigner eine Anlegestelle weniger am See.
Außer im Hafen von Neumarkt und eventuell am Steg des Eisenbahner-Buffets gibt’s eigentlich nur mehr die Jausenterrasse Kapeller direkt neben dem Hafen, wo ich meinen Liegeplatz habe. Das heißt: Anfangspunkt und Endpunkt jeder Ausfahrt ist zwangsläufig der Kapellerhafen – Zwischenstopps am Ufer sind am Wallersee wirklich Mangelware.

Im Sommer 2008 habe ich ein Telefonat meines Eigners belauscht – war auch nicht schwer, er führte es mitten auf dem See! Er telefonierte mit Wolfgang dem ehemaligen Segelschulchef und sie unterhielten sich scheinbar über Anhängelasten bei PKW’s und über das Segeln in den Lagunen vor Grado. Hatte er etwa vor, mit mir der Enge des Wallersees zu entfliehen? Die obere Adria - wäre eine Überlegung wert, aber mir selbst war dabei nicht ganz wohl zumute: Bin ich doch konstruiert, um in einem geschützten Revier auf kleinstem Raum Platz zum Segeln und Wohnen, verbunden mit einer Portion Segelspaß zu bieten.

Meinen Elektro-Flautenschieber mit einem halben PS Leistung würde er gegen einen lauten, stinkenden und teuren Benziner mit 4-8 PS tauschen müssen. Ich verfüge für meine Länge über relativ viel Segelfläche, auch gerefft zuviel, um auf dem Meer mit einer plötzlich einfallenden Bora mit 7-8 Beaufort fertig zu werden. Ja und um auf mir länger zu wohnen, dazu ist mein Salon etwas zu niedrig. Ich verfüge zwar über Schlafplätze für 2-3 Personen, aber Stehhöhe findet man nur unter dem offenen Schiebeluk des Niederganges. Wenn ich das richtig interpretierte, zählte ihm der Segelprofi genau diese Gründe auf, und riet, sich die Idee mit der Verlegung nach Grado noch einmal gründlich zu überlegen.

Schade, irgendwie wäre es schon reizvoll, auch mal in einem anderen weitläufigeren Revier zu kreuzen! Während der Winterpause erhielt mein Großsegel eine zusätzliche Reffstufe: Die sollte sich in der kommenden Saison bei viel Wind als recht brauchbar erweisen. Die verkleinerte Segelfläche verringerte die Krängung deutlich und sorgte dabei trotzdem für guten Vortrieb.Die Saison 2009 begann eigentlich so wie jede der früheren Saisonen am Wallersee: Mein Eigner setzte mich als eines der ersten Boote Ende April im Kapellerhafen in den See. Mein Mast war rasch gestellt und bald schwamm ich segelfertig in der mir vertrauten Box.

Windarme Tage wechselten mit Tagen guten Windes – ab und zu eine Ausfahrt unter Segeln, dazwischen wieder die eine oder andere Badeausfahrt zur Seemitte – „business as usual“ halt. Mitte August bekam ich plötzlich am Heck einen kleinen Flaggstock mit rot-weiss-roter Flagge verpaßt – wieso das denn plötzlich?

Es sah ja schick aus, als das Fähnlein im Wind flatterte, aber erklären konnte ich es mir nicht, warum ich plötzlich diesen Aufputz erhielt. Es war gegen Ende August als er den Mast legte und mit mir in die Kranbox fuhr, um mich auf meinen Trailer heben zu lassen. Hey, das war ja mehr als ein Monat zu früh! Willst du mich vielleicht verkaufen?

Ich wurde ins Winterquartier nach Thalgau geschleppt, landete aber nicht auf meinem Stellplatz unter dem Scheunendach sondern wurde im Hof abgestellt. Bei mir machte sich Besorgnis breit – ich hatte mich eigentlich ganz gut an meinen Eigner gewöhnt, die Ausfahrten mit ihm machten Spaß und er ging auch einigermaßen schonend mit mir um. Und dass er stolz war auf mich, wenn ich im Speed mit größeren Segelbooten mithalten konnte, das habe ich auch gespürt. Was also führte er im Schilde?
Zunächst befreite er mit dem Hochdruckreiniger meinen Rumpf vom Bewuchs der kurzen Saison auf dem Wallersee. Dann begann er mich auszuräumen: Koch- und Essgerätschaft, Werkzeugkisten, der Elektroaussenborder, kurz alles was nicht niet- und nagelfest war, wurde ausgeräumt. Als er schließlich auch die Segel, die Wanten und Taljen hinausschleppte und sogar die Batterien ausbaute, war ich wirklich ratlos. Jetzt lag ich da, frisch gewaschen und verzurrt auf meinem Trailer und ich fühlte mich so leer!

Die Nacht vor der Scheune war feucht und kühl, auf sie folgte ein grauer Morgen mit Nieselwetter. In aller Frühe, so gegen 0600 Uhr erschien mein Eigner und kuppelte den Trailer an sein Auto. Sein Segelfreund Erwin, den ich schon von einigen Ausfahrten am See kenne, war auch mit dabei. Nachdem die Anhängerkupplung und die Beleuchtung überprüft war, und Erwin noch etwas für seine Lungen getan hatte, setzten sich die beiden ins Auto und wir fuhren los: Unser Weg führte uns auf die Autobahn, und zwar auf jene, die nach Osten führt!

Also wenn er nicht vorhatte, mich zu verkaufen konnte das nur heißen: Wir fuhren an einen anderen See! Als wir den Mondsee, den Attersee und den Traunsee links liegen gelassen hatten, kombinierte ich: Es geht wahrscheinlich ins Burgenland! Und das weiß jedes kleine Paddelboot: Hier liegt der nach dem Bodensee zweitgrößte See Österreichs, der Neusiedler See!

Wir schaukelten also gute vier Stunden im leichten Nieselregen über die Autobahn und schwammen dabei mit den großen LKWs mit. Auch wenn es bei größeren Bodenwellen manchmal etwas holperte, ich lag sicher und gut verzurrt auf meinem Anhänger und konnte nicht verloren gehen. Unsere Endstation war der Hafen von Jois, wo der Hafenbetreiber bereits auf uns wartete. Er lotste uns unter den Kran, warf das fahrbare alte graue Ungetüm an und hob mich damit sanft ins bräunlichtrübe Wasser. Endlich wieder in meinem angestammten Element!

Manfred und sein Freund Erwin gingen sofort ans Werk mein Rigg aufzurichten und alle Bestandteile, die mir vor nicht allzu langer Zeit ausgebaut wurden wieder zu montieren. Ein neues, kürzeres Ruderblatt, das er anscheinend selbst aus Bootsbausperrholz konstruiert hatte wurde anstelle meines langen GFK-Ruderblattes eingehängt. Endlich wurde auch der Regen schwächer.

Als der Mast stand und die gesamte Ausrüstung provisorisch in meinem Bauch verstaut war, verlegte mich Manfred in die uns zugewiesene Box am Steg „Sonnengasse“. Das neue Ruder fühlte sich ganz gut an – ob es aber bei Starkwind bestehen könnte, musste sich erst herausstellen. Am übernächsten Tag besuchten mich Manuela und Manfred in meiner Box um unter Deck aufzuräumen, eine aufgeplatzte Naht am Vorsegel zu flicken und die Wanten nachzuspannen.

Sogar einen Hufeisen-Rettungsring am Heck haben sie mir verpasst und an meinem Mastfuß prangte jetzt die Berechtigungsplakette für den Neusiedler See!

Am späten Nachmittag machten wir dann die erste Ausfahrt. Langsam und leise schob uns mein „Mercury“ - Elektroaussenborder durch den langen schmalen Schilfkanal. Es dauerte schon eine Zeit, bis wir die über einen Kilometer lange Einfahrt zum Hafen Jois hinter uns gelassen hatten und endlich den offenen See erreichten.

Viel Wind erwartete uns hier nicht, aber für einen ersten kleinen Schlag in südliche Richtung reichte es allemal. Ein ungewohntes Gefühl, wenn mein Schwert ab und zu durch den weichen Schlamm am Grund des Sees schnitt. Aber da der Schlamm keine Steine oder andere feste Hindernisse enthielt, störte er unseren Vorwärtsdrang kaum. Am nächsten Tag hatten wir stärkeren Wind.
Das Geklimper und Geklapper von den Masten der über hundert Boote, die so wie ich hier im Hafen Jois ihren Liegeplatz hatten, erfüllte die Luft. Als die beiden mich am Vormittag besuchten, wurde zunächst noch abgewartet, wie sich der Wind entwickeln würde.

Manuela und Manfred nutzen die Zeit, mein Deck zu reinigen und im Salon Staub zu saugen. Später am Vormittag löste Manfred die Leinen, der Wind im Hafen dürfte immer noch so um die 4 Beaufort gehabt haben. Wir fuhren aber nicht hinaus auf den See, sondern die beiden steuerten mich in die Nähe der anderen Steganlagen. Dort musste dann mein Elektroaussenborder beweisen, ob er bei dieser Windstärke noch eine Fahrt gegen den Wind zustande brächte.

Auch wenn er sich mit voller Kraft gegen den Wind stemmte, der „Mercury“ schaffte es nicht, dass ich Fahrt aufnehmen und steuerbar werden konnte. Das schien meinen Eigner sehr zu mißfallen, er setzte zusätzlich das gereffte Großsegel und mit diesem Zusatzantrieb liefen wir ohne Probleme wieder heim an unseren Steg. Dort wurde ich vertäut und gleich darauf alleine gelassen.

Ich konnte da wirklich nichts dafür – denn am Wallersee reichte die Kraft des „Mercury“ bis auf ein einziges Mal immer aus, uns durch die kurze Hafengasse ein Stück auf’s Wasser hinaus zu schieben, wo dann die Segel gesetzt werden konnten.

Am nächsten Tag erschienen die beiden wieder, lösten meine Festmacher und wir machten uns auf den Weg durch den Kanal. Die Segel wurden gesetzt und es ging in Richtung Bauminsel, dann steuerten sie mich in südliche Richtung nach Breitenbrunn, wo wir kurz festmachten.

Auch die Rückfahrt nach Jois unter Segeln war flott und problemlos – sogar der Kanal mit etwas Gegenwind konnte mich nicht bremsen. Am nächsten Tag, es war ein sonniger, schwach windiger Badetag, unterbrachen die beiden ihren Badestopp kurz nach Mittag, parkten mich in meiner Box und verließen den Hafen.

Nach einiger Zeit waren sie wieder zurück und Manfred schleppte einen neuen Elektroaussenborder mit, den er sogleich an Stelle des alten „Mercury“ montierte. Der neue „Minn Kota“ hatte zwar nur einen Zweiblattpropeller, sein Durchmesser war aber größer und der Motor war fast doppelt so stark wie jener des alten „Mercury“. Bei unserer ersten Probefahrt spürte ich sofort, dass der Neue mehr Schub erzeugen konnte, wir erreichten auch eine größere Höchstgeschwindigkeit als vorher.

Manfred grinste und schien höchst zufrieden, als wir wieder in der Box festmachten. Und ich wusste, jetzt war ich fit für den Neusiedler See!“